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Gelobt sei die Diebeskunst
Die britische Band Radiohead kehrt auf ihrer neuen CD zu jenen Hymnen zurück, die ihr einst ein Millionenpublikum bescherten - und neckt patriotische Amerikaner.
Autor: Christoph Dallach
Seinem Ruf als genialer und menschenscheuer Sonderling ist der Mann einiges schuldig - und so beantwortet Thom Yorke Fragen oft flüsternd und mit beinahe vollständig geschlossenen Augen. Weil er sich offenbar vor dem auf ihn gerichteten Journalistenmikrofon fürchtet, hat er sich schon zu Beginn des Interviews verschreckt auf die Rückenlehne seines Stuhls geflüchtet.
Zehn Minuten später aber springt Yorke überraschend auf, bestellt eine Flasche Champagner in die Hotelsuite und erzählt sehr aufgedreht, wie er als Student mal mit Kater neben einem Kommilitonen-Paar aufwachte, das nicht bloß splitternackt war, sondern es unmittelbar neben ihm auf einem Stuhl lautstark trieb. Woraus Yorke, 34, gelernt hat: "An Freitagen muss man es einfach krachen lassen."
Yorke, der wie seine Mitmusiker im britischen Oxford lebt, hat es mit den eindringlichen, hoch melodischen Rocknummern seiner Band zu schönem Ruhm gebracht. Das amerikanische Fachblatt "Rolling Stone" preist sie als "einfallsreichste britische Rockband der letzten Dekade"; das britische Magazin "Q" wählte das Radiohead-Album "OK Computer" aus dem Jahr 1997 sogar zum zweitbesten britischen Album aller Zeiten, gleich nach dem Beatles-Werk "Revolver".
Leider haben Yorke und seine Mitstreiter in den vergangenen Jahren mit neueren Werken nicht wenige ihrer alten Fans vergrault: Als wollten sie unbedingt das Kritikergerede widerlegen, ihre Musik erinnere an die besseren Zeiten der Oldtimer-Band Pink Floyd, zelebrierten die Radiohead-Jungs ein paar Alben lang ein diffus zerfranstes Avantgarde-Geschrammel. Das spiegelte zwar vermutlich sehr genau die seelische Zerrüttung der Künstler wider, ansonsten aber nervte es schwer.
Nun jedoch soll das neue Radiohead-Album "Hail to the Thief" (Capitol/EMI) eine große Läuterung belegen. Das kommende Woche erscheinende Werk wird vorab zumal von britischen Kritikern als eingängiges Meisterwerk gelobt; der Buhei und die Heimlichtuerei, die um die CD veranstaltet werden, sind erheblich.
So veröffentlichte der aufgeregte Londoner "New Musical Express" schon Monate vorher eine Liste jener Songs, die das "am sehnlichsten erwartete Album des Jahres" enthalte. Andere Fachleute rätselten, was das bunte Cover des neuen Werks - es zeigt eine Art Straßenkarte mit aufgemalten Schlagwörtern wie "Oil" und "BangBang" - wohl genau bedeute. Zudem gab es auf die Tickets einer gerade absolvierten, total ausverkauften Radiohead-Clubtournee einen solchen Run, dass die Band an das Internet-Auktionshaus EBay appellierte, den Handel mit den Eintrittskarten zu untersagen.
Klar, dass bei all dem Rummel die Mitglieder der Band Nervenstärke zeigen müssen. Sich an den Zustand des Berühmtseins zu gewöhnen sei ihm sehr schwer gefallen, sagt Thom Yorke. "Lange fühlte ich mich, als hätten wir unseren Erfolg jemandem weggenommen, der ihn mehr verdient hat. Schuld war schon ein dominierendes Gefühl der letzten Jahre", wispert er und starrt aus dem Hotelfenster. Yorkes amerikanischer Freund Michael Stipe, der als Sänger der Band R.E.M. ein paar Jahre zuvor Ähnliches erlebte, riet ihm, den Verstand öfter mal auszuschalten. "Ist nicht so einfach, aber hilft sehr!" Zum großen inneren Frieden habe er, sagt Yorke, aber erst mit der Geburt seines Sohns Noah im Februar 2001 gefunden.
Tatsächlich ist das jüngste Radiohead-Werk entspannter und wieder deutlich zugänglicher geraten als seine Vorgänger: eine Rückkehr zu jenen gepflegt verschachtelten Kunstrock-Melodien, denen die wimmernd sehnsüchtige Stimme Thom Yorkes eine angenehme Melancholie verleiht.
Dazu, dass auch die wüsteren Momente des Albums hübsch angenehm klingen, trug wohl auch die Sonne von Los Angeles bei: Dort spielten die Radiohead-Musiker das Album in einem Studio ein, in dem schon Frank Sinatra und die Beach Boys zu Werke gingen. Zudem gaben sich die Briten zum ersten Mal in ihrer Karriere gut gelaunt dem Glamour-Rummel hin, besuchten Filmpremieren und hippe Restaurants. "Wir haben den ganzen Hollywood-Zoo ausgiebig begafft - und es war super", berichtet Yorke.
Auch der Titel des Albums ist amerikanischen Ursprungs: "Hail to the Thief" ("Gepriesen sei der Dieb") ist eine Anspielung auf mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl von US-Präsident George W. Bush. Dass sie mit dieser Frechheit einen Boykott amerikanischer Händler und Medien riskieren, ist den Musikern klar. "Logisch sind wir nervös, aber das ist es wert", sagt Yorke.
Ansonsten sinniert das Quintett aus Oxford darüber, ob man den Vertrag mit dem EMI-Konzern, der mit dem neuen Album ausläuft, überhaupt verlängern solle. Wozu sie denn noch eine Plattenfirma bräuchten? "Wir debattieren sehr angeregt", sagt Thom Yorke. Der Erfolg des Mediums Internet nämlich sei gigantisch.
Dabei geriet Yorke vor einigen Monaten außer sich vor Wut, als Demo-Versionen der neuen Songs im Netz landeten - was bei einem Album, dessen Titel die Kunst des Diebstahls preist, nicht ganz unkomisch ist. Yorke wollte die Veröffentlichung des längst fertigen neuen Albums vorziehen. Aber die Manager der EMI lehnten ab, weshalb der Künstler nun die mangelnde Beweglichkeit der großen Konzerne beklagt.
Toll an der Vorstellung, ganz ohne die Hilfe einer Plattenfirma auszukommen, sei nicht nur die Hoffnung, dass ihn dann niemand mehr zur Produktion von Hitsingles und Videoclips dränge, sagt der Bandleader. Das Allerschönste daran wäre, "dass ich nie wieder ein Interview geben müsste". Thom Yorke grinst, nimmt einen Schluck Champagner und schließt die Augen.