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Perfektionismus als Lebensprinzip
„Schon wieder?" werden sich eventuell einige von euch wundern, wenn sie erneut einen Radiohead-Bericht in VISIONS entdecken und dieser Band nicht so viel abgewinnen können wie wir - noch nicht... Ein Großteil der Leserschaft überschüttete uns jedoch mit ungewöhnlich euphorischem Feedback ob der Titelstory der letzten Ausgabe, und da Sascha Krügers umfangreiches Interview mit Radiohead-Frontmann Thom Yorke noch genügend unveröffentlichtes Material übrigließ, fühlten wir uns veranlaßt, euch weitere Gesprächsausschnitte darzubieten, um eurem nachhaltigen Interesse an der Band gerecht zu werden.
by Sascha Krüger



Über die Bedeutung der Engländer und ihr neues herausragendes Album „OK Computer" habe ich bereits im letzten Heft ausführlich Worte verloren. Also möchte ich an dieser Stelle auch nicht unnötig lange ‘rumschwafeln und ohne Umwege in den Gesprächsverlauf einsteigen, welcher mit Thom Yorke im Radiohead-Tourbus auf dem Weg von London nach Brighton aufgezeichnet wurde...

Wie fühlt man sich als "momentan wichtigste Band der britischen Rockmusikszene", wie der NME neulich titelte?
Nun, solche Dinge kommen und gehen. Das Album von Portishead wird demnächst veröffentlicht, und ich bin mal gespannt, welchen Superlativ der NME dann wieder parat haben wird. Apropos Portishead: Das, was sie machen, ist sehr viel mehr Rockmusik als die unsrige. Bei ihnen ist das Attribut `wichtigste britische Band` überhaupt sehr gut aufgehoben.

Als ich vor ein paar Tagen Geoff Barrow von Portishead interviewte, sagte er übrigens das gleiche über Radiohead...
Tja, offensichtlich existiert da eine große gegenseitige Wertschätzung. Aber zurück zu deiner ursprünglichen Frage: Ich muß dir ehrlich sagen, daß ich sehr beschämt und verlegen bin, wenn gewisse Leute oder Medien beginnen, über Rockmusik zu reden. Es ist so peinlich anzusehen, wie sie die Ideale der Rockmusik aus Marketing-Zwecken instrumentalisieren und im wahrsten Sinne des Wortes verkaufen. Das alles ist so unglaublich weit weg von der ursprünglichen Idee, die hinter dem Musikmachen steht.

Wie würdest du eure Musik denn sonst bezeichnen, wenn es keine Rockmusik ist?
Popmusik, was sonst?

Nun ja, ich hätte doch eher auf Rock getippt. Schon allein deshalb, weil ich die Gitarrensounds auf "OK Computer" als rauher und dominanter empfinde als noch auf "The Bends", also wieder mehr in Richtung des ungestümen, rockigen Elements von "Pablo Honey". Was mir nachhaltig den Eindruck vermittelte, daß ihr eine Gitarrenband seid und eben keine gut produzierte Popband, bei der die Gitarre nur einzelne Akzente setzt.
Schon richtig, aber der Grund für diese stärkere Betonung ist ein anderer. Ich bin einfach kein Freund der Argumentation, daß Techno die Zukunft der U-Musik sein soll. Das ist einfach lachhaft. Es ist ein einziger Witz, denn der Kram, der heute als neu und trendy gilt, existiert schon seit circa 15 Jahren. Es ist nur vorher keiner auf die Idee gekommen, diese ursprüngliche Randgruppenmusik als `hip` zu erklären, geschweige denn als Ausweg aus einer angeblich festgefahrenen Musikszene. Die ganze Sache ist doch ein einziges großes Marketing-Ding! Andererseits bin ich aber ebensowenig ein Anhänger des Rock`n`Roll-Mythos, das ist ähnlicher Bullshit, nur ein paar Jahre älter als der Techno-Hype. Die einzige Einstellung, die ich unterschreibe, ist die, jedes Instrument und jeden musizierfähigen Computer kreativ und sinnvoll zu nutzen - ganz unabhängig davon, welchem Schema oder welcher musikalischen Kategorie es normalerweise zugerechnet wird. Deshalb haben wir auch während der Aufnahmen zu „OK Computer" unzählige Musikgeschäfte nach ungewöhnlichen Instrumenten durchstöbert, selbst wenn wir nicht die geringste Ahnung hatten, wie man sie spielt. Aber das ist auch völlig unerheblich, wenn es dir nur gelingt, dem Instrument interessante, die Musik bereiche

Wie bist du zu dieser Einstellung gelangt, allen Musikstilen und -kategorisierungen offen gegenüberzustehen?
Durch Inspiration. Ich versuche, die musikalischen Ziele und Ideale derer nachzuvollziehen, die auf mich schon immer einen großen Einfluß hatten, die ich für `kompositorisch intelligent` halte. Der inspirierendste Stoff überhaupt ist Can, denen ich eine Menge zu verdanken habe. Und das nicht nur wegen ihrer Musik, sondern auch wegen der Herangehensweise der einzelnen Bandmitglieder an die ganze Materie. Jeder Musiker hat sich - neben seinem Hauptinteresse für Can - genügend Freiräume gelassen, eigene Wege zu beschreiten. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß unheimlich viele Leute heutzutage ein Problem damit haben, in einer Band zu spielen und somit Teil einer `richtigen` Rockband zu sein. Mir geht es da nicht anders, die Konstellation eines solchen Musikerkollektivs bringt einfach die Notwendigkeit einer gewissen Anpassung mit sich. Aber nur auf diese Weise kann man seiner Arbeit Kontinuität verleihen. Trotzdem sollte man auf neue musikalische Impulse eingehen, denn das bietet einem die Möglichkeit der Ablenkung vom gewöhnlichen Bandalltag.

Von welchen Impulsen sprichst du? Sind das Kollaborationen mit anderen Musikern, so wie zuletzt die mit dem Kalifornier DJ Shadow?
Ja, zum Beispiel, aber noch entscheidender ist es für mich, ausreichend Zeit für das Songwriting zu haben: mir ist es völlig egal, ob wir wochenlang unterwegs sind oder ob ich zwei Nächte nicht geschlafen habe. Das einzige, worauf ich wirklich Wert lege, ist, genügend Zeit zum Schreiben neuer Songs zu haben, um meinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Songwriting übt auf mich diese vielzitierte Ventilwirkung aus, es ist mein Ausgleich. Dabei möchte ich noch nicht einmal entscheiden müssen, ob es gute oder eher schlechte Songs sind, denn darum geht es anfänglich nicht. Mir ist es viel wichtiger, den Gemütszustand eines bestimmten Moments möglichst präzise umzusetzen. Darüberhinaus hoffe ich, daß die Momentaufnahme mich dazu anstachelt, den Prozeß des Songwritings immer wieder neu anzugehen.

Läßt sich die Empfangsbereitschaft für neue Impulse irgendwie forcieren? Durch Drogen zum Beispiel?
Das hat eigentlich nicht viel miteinander zu tun, denn diese Impulse - oder sagen wir, Inspirationen - resultieren aus den Erlebnissen und Erfahrungen, die mir täglich widerfahren. Mein Leben ist zur Zeit aufregend genug, an Impulsen mangelt es wirklich nicht. Vielleicht benötigen Menschen, deren Leben völlig gleichmäßig und ohne Aufregung verläuft, Drogen als Impulsvermittler. Diese Leute halte ich aber ohnehin nicht für besonders kreativ, denn sonst wäre ihr Leben wahrscheinlich weniger öde. Was uns betrifft: Es läßt sich nicht völlig leugnen, daß gewisse Momente oder einzelne Einfälle das Resultat eines guten Joints sind. Das darf aber niemals die Grundvoraussetzung für Kreativität sein. Mir fällt es sogar entschieden leichter, mit klarem Kopf zu arbeiten, denn dann komme ich wesentlich schneller auf den Punkt. Aber wenn sich die anderen zukiffen wollen, habe ich damit keine Probleme. Schließlich sind Drogen von jeher ein fester, akzeptierter Bestandteil künstlerischer Kreativität.

Ich würde dich gerne mit ein paar musikalischen Vergleichen konfrontieren, die ich über euch gelesen habe, und dich bitten, sie zu kommentieren:
"Die neuen U2"
Sie hielten das für urkomisch, als ich ihnen davon erzählte. Nächstes.

"Die neuen Beatles"
Yeah, all right, that`s fine with me.

"Die frühen Pink Floyd"
Nicht wirklich, finde ich. Obwohl ich die frühen Platten von ihnen sehr mag.

"Die späten Talk Talk"
Was das neue Album betrifft, würde ich dem zustimmen. Es geht schon in ihre Richtung, auch wenn ein Album wie „The Laughing Stock" um einiges krasser ist als „OK Computer". Was ich an ihnen mag, ist ihre unverwechselbare musikalische Note. Talk Talk sind einfach anders als alle anderen. Das ist bei ihrer Musik allerdings auch nicht allzu schwer, denn ein Großteil ihrer Arbeit besteht nicht aus wirklichen Songs, sondern eher aus `landscape-sounds`, mit denen man sich einfacher von der Masse absetzen kann als mit konventioneller, songorientierter Musik.

Der NME titelt: "New Grave Rock"
Muß ich wirklich? (es folgen nicht notierbare, eindeutig Abscheu ausdrückende Geräusche)

"Thom Yorke ist der Syd Barrett der Neunziger"
Keine Ahnung, was das soll.

Zu guter Letzt: "Thom Yorke ist der neue Michael Stipe".
Das ist anmaßend, die Genialität eines Michael Stipe läßt sich nicht kopieren.

Im Zusammenhang mit diesem Zitat-Dropping: Habt ihr zu irgendeiner Zeit diesen Erfolg erwartet, der euch im Moment heimsucht?
Erwartet ist das falsche Wort, gefürchtet trifft es wohl eher. (Yorke lacht in sein Kissen)

Hofft man nicht zumindest ein wenig, daß sich der ganze Aufwand irgendwann finanziell lohnen und einem die Anerkennung zuteil wird, die man verdient hat?
Ich weiß nicht, wie man so etwas wünschen kann, denn das ist meiner Ansicht nach nichts, worauf es sich zu hoffen lohnt. Wie kann jemand ernsthaft den Wunsch hegen, seine gesamte Privatsphäre zu verlieren und sein Innerstes vor der versammelten Öffentlichkeit nach außen zu kehren?

Wenn du die Wahl hättest: Würdest du lieber mit einem semi-erfolgreichen Musiker tauschen, der ein paar Platten weniger verkauft, seine Miete zahlen kann, ansonsten aber in Ruhe gelassen wird?
Diese Wahl habe ich sowieso nicht, insofern ist der Gedanke völlig irrelevant. Musiker leben nun mal mit den Folgen kapitalistisch orientierter Marktmechanismen. Kauf` ich deine Platte, will ich wissen, wer du bist. Das geht soweit auch in Ordnung, man muß nur lernen, damit umzugehen. Wir sind unter anderem mit REM und U2 getourt, und dabei ist mir aufgefallen, wie verdammt locker die Bands mit den Begleiterscheinungen ihres Erfolges umgehen. Sie haben gelernt, dieses Leben als Normalität zu verstehen, ohne dabei durchzudrehen. Die von dir gestellten Fragen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nur sehr unbefriedigend beantworten, denn ich stelle sie mir momentan selbst andauernd. Eine wirklich zufriedenstellende Antwort habe ich bis jetzt allerdings noch nicht finden können.

Welche dieser Fragen möchtest du dir am ehesten beantworten können?
Wie halte ich die Fäden zusammen? You know, I`m a control freak...