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Die Kunst des Verschwindens
Radiohead haben Erfolg, weil sie sich kein Pop-Image zulegen wollen
by Thomas Gross

Grün steht hier nicht für Hoffnung, sondern für die Versuchung des Schicksals. Blau meint Übergang, aber auch Massenhysterie. Braun bedeutet Schatten, Doppelgängertum und zugleich „money for the generals“. Eine seltsame Landkarte, in welche die Fünf von Radiohead ihre jüngste Platte verpackt haben. „Survival“, „Oil“, „Cocktails“, „Karaoke“, blinkt es dem Betrachter farbig entgegen, doch die beigefügte Legende weist keinen Weg durch den Dschungel der Zeichen. Stattdessen enden alle Wege bei einer weiteren Abzweigung. Und das Spiel geht in eine neue Runde.
Das Spiel, das die Band mit Leidenschaft betreibt, heißt Verrätselung. Seine Grundregeln: Verwische die Spuren, lege mutwillig Fährten, die in die Irre führen. Seit Wochen ist die Homepage einer kleinen globalisierungskritischen Organisation überlaufen, weil sie sich, genau wie das neue Radiohead-Album, Hail To The Thief nennt. Dass die Suchmaschinen in ihrem Buchstabenglauben den Unterschied nicht erkennen, ist nach dem Geschmack von Sänger Thom Yorke. Einen direkten Zusammenhang würde er allerdings weder ausschließen noch bestätigen. Seine Spezialität ist es, keinen Kommentar abzugeben: Wer in der Marken- und Mediengesellschaft überleben will, überlässt anderen das Reimen.
Inmitten des allgemeinen Kampfes, der tagtäglich um Aufmerksamkeitswerte geführt wird, ist das eine abweichlerische, ja antizyklische Position. Keine Slogans, keine Skandale, kein Einklagen des Menschenrechts auf Kapitalismus, niemand, der Fernseher zertrümmert oder seinen Kopf reflexhaft in die Kamera hält – Radiohead verkörpern ein Paradox, das seit dem Tod Kurt Cobains aus der Mode gekommen ist: eine erfolgreiche Popgruppe, die sich dem Berufsbild einer erfolgreichen Popgruppe verweigert. Wo der Hauptpulk der Hit-Songschreiber mit allen Mitteln versucht, das Zeitgefühl auf einen Nenner zu bringen, kultiviert sie das Uneindeutige. Nicht einmal ein Image scheint zu passen – und ein Image hat heutzutage wirklich jeder.
Reporter, die ins beschauliche Oxford entsandt werden, um der inneren Chemie des Phänomens auf die Spur zu kommen, wissen stets nur die Geschichte von fünf Studententypen zu erzählen, die sich schon immer gegenseitig mit Ideen versorgten. Die Bilder, die Radioheads Storys in den Magazinen illustrieren, sind auf Anweisung der Band oft verschwommen oder mit Balken zensiert, als wollten sie signalisieren: No Logo! Genau dieser Widerstand gegen die Macht der Konzerne hat ihnen Millionen von globalisierungskritischen Anhängern verschafft. Yorke, die Gebrüder Greenwood und der noch grauere Rest der Gruppe verweigern sich dem Betrieb – aber nicht nur als Personen, sondern auch in ihrer Musik. How To Disappear Completely heißt einer ihrer sprechenden Titel. Es geht darum, immer wieder die eigene Soundmarke zu löschen. Auf der Bühne und im Studio zelebrieren Radiohead die hohe Kunst des Verschwindens.
Es war kurz vor der Jahrtausendwende, als die Band, einem viel zitierten Wort von Gitarrist Ed O’Brian zufolge, „aufgelöst und mit denselben fünf Leuten neu gegründet“ wurde. Ergebnis der Verwandlung, die auf den enormen Erfolg des Jahrzehntalbums O. K. Computer antwortete: Kid A und Amnesiac, zwei Produktionen, die auf gängige Rock-Klischees verzichteten und die frei werdenden Räume mit elektronischen Geräuschen fluteten. Statt Strophe auf Refrain folgen zu lassen, spielten nun Sampler und anderes Geräuschgerät die Hauptrolle. Seither herrscht, wo früher die normative Kraft des Rock waltete, Raum, Fläche, work in progress. Ins Unwegsame führt die Spur, eine Soundwelt ohne klare Orientierungspunkte, in der die Gitarre sich von ihrer dienenden Funktion emanzipiert, als Klangquelle unter anderen traumverloren vor sich hin zupft. Ein amnesiac ist eben ein Vergessender, einer, der sich von allem, was er einmal wusste, verabschiedet.
„Progressive Rock“ lautete einmal das Stichwort für dieses experimentelle Überschreiten von Grenzen, doch das war damals, als die Popmusik noch mit dem Strom der gesellschaftlichen Modernisierung schwamm. Geblieben ist das Experiment selbst, ein Lösen aus der Erstarrung, bei dem das elektronische Equipment die Rolle eines Zufallsgenerators spielt. Man könnte es „Regressive Rock“ nennen: Die Syntax des Songs wird weiter dekonstruiert, die Band nutzt die Technik gegen den Uhrzeigersinn. Die Idee dahinter: Nur wer sich den Möglichkeiten der Geräte hingibt, wird wieder offen für das Unvorhersehbare, nur wer Erwartungshaltungen sabotiert, und seien es die eigenen, gelangt noch einmal hinaus ins Offene. Er sei „besessen von der Aussicht auf Störfälle“, hat Sänger und – falls der Begriff noch zutrifft – Songwriter Yorke einem Interviewer verraten. Der Zufall bringt Erlösung von der Wiederkehr des Immergleichen. Bei Radiohead ist er das letzte Mittel gegen den Ennui des Rock ’n’ Roll.
Auch Hail To The Thief wirkt wie ein Fluss, in dem verschiedene Sounds sich mischen: Hymnenfragmente, Glöckchen bimmeln, der warme Ton eines frühen elektronischen Instruments namens Ondes Martinot, gespielt von Jonny Greenwood. Es gibt jazznahe Klänge, heiliges Blech, sämtliche fein abgestufte Varianten von digitalem Zischeln, Knistern und Pochen. Mit silberheller Stimme singt Thom Yorke dazu Zeilen, die so zufällig nebeneinander zu stehen kommen, als hätte er sie gerade aus Tristan Tzaras Hut gezogen: „Are you such a dreamer? To put the world to right?“ Es sind melodische Mantras, die sich nur assoziativ erschließen lassen – als poetischer Reflex des Alltags- und Mediengeschehens. Yorke nennt dies den „Lärm ums Haus herum“. Er habe viel Radio gehört in den letzten Jahren, Nachrichten- wie Unterhaltungssender, und immer wenn eine Zeile im Kopf zu klingen begann, zum Notizstift gegriffen.
Das Resultat ist eine Art Traumkartografie der Gegenwart. Es gibt Momente, in denen der dunkle, bedrohliche Gesamtsound sich zum Popsong aufhellt. Dann klingt Thom Yorke wieder gehetzt wie David Byrne, dessen urbanem Neurosenpop er viel verdankt (der Name Radiohead geht auf einen Talking-Heads-Song zurück). Manchmal meint man, die Bedrohungen näher fassen zu können. Where I End And You Begin könnte von einer nuklearen Katastrophe erzählen, We Suck Young Blood vom Vampirismus des Starkults. Und handelt Go To Sleep nicht von einem Mann, der von der Globalisierung entwurzelt wird? Muss man das gesamte Unternehmen am Ende als Antwort auf George W. Bushs road map zur Freiheit verstehen? So könnte es sein, doch wer weiß das schon genau? Weder der Sänger, dem seine Bilder zugeschwebt sind, noch die beigegebene Legende, die den Zeichendschungel kommentiert. Lösungen, Auswege zu versprechen ist Aufgabe der Politiker. Radiohead belassen es bei einer Klanglandschaft, in der man sich gern verirrt.