Thom Yorke | „Wenn ich mich mit allem auseinandersetzen würde, was mir widerfährt, wäre ich längst wahnsinnig.“
Zeit und Raum: 14. September 1997 im Tourbus auf dem Weg von London nach Brighton
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Herr Yorke, gestern Abend spielten Sie mit Ihrer Band Radiohead, mit der Sie sich seit Mai auf einer einjährigen Welttournee befinden, wieder einmal ein viel umjubeltes Konzert in der Londoner Brixton Academy. Wie war der Abend für Sie?
Yorke: Gestern war es mal wieder ziemlich grauenhaft. Die Chemie stimmte einfach nicht. Ed (O’Brien, Gitarrist, d. Verf.) und ich waren schon vor dem Auftritt schlecht zurecht, und das Londoner Publikum ist darüber hinaus unerträglich sophisticated, dass es mich schaudert. | |
Aber die allgemeine Stimmung war doch bombastisch. Die Fans hingen an Ihren Lippen und skandierten geschlossen jedes einzelne Wort mit.
Yorke: Wenn das Ihre Vorstellung von einem gelungenen Konzert ist, dann scheinen unsere Auffassungen darüber wohl grundsätzlich auseinander zu gehen. Dieses partymäßige Abfeiern einer Band gehört ganz sicher nicht zu meinen Bewertungskriterien eines gelungenen Konzertes. Die einzigen noch schlimmeren Stufen dieser unerträglichen Auswüchse sind Crowdsurfing und Stagediving. | |
Wie steht es heute mit Ihrer persönlichen Verfassung? Fühlen Sie sich ein wenig besser?
Yorke: Unsere Stimmung ist in der aktuellen Lage allgemein nicht die beste, die Tagesform wechselt lediglich zwischen ‘beschissen’ und ‘gerade noch erträglich’. Der Grund dafür ist offensichtlich: Wir sind nun schon seit geschlagenen zwei Monaten fast ohne jegliches Off-Date auf Tour. Und abgesehen davon gibt es auch noch eine Menge anderer Dinge, die so ganz nebenbei gemacht werden müssen, so wie dieses Interview hier. Seit nunmehr acht Wochen haben wir alle nicht die geringste Zeit gehabt, uns einmal um persönliche Belange zu kümmern oder einfach mal richtig abzuschalten. | |
Warum tun Sie sich diesen ganzen Stress dann überhaupt an? Sie könnten es doch auch ein wenig ruhiger angehen lassen.
Yorke: Das einzige, was mich diesen ganzen Kram noch weitermachen lässt, ist die Gewissheit, dass es uns alle weiter bringt, dass es der Band hilft. Und das nicht nur in punkto Erfolg, es sind diese gemeinsamen Erlebnisse, die uns immer mehr zusammenschweißen. Die band-inteme Chemie wird kontinuierlich besser. Was aber meine-momentane körperliche und psychische Verfassung betrifft, so befinde ich mich in einem Zustand des Vor-mich-hin-Vegetierens, den ich mir angeeignet habe, um all diese täglichen Eindrücke und Erlebnisse einfach an mir abprallen zu lassen. Denn wenn ich mich mit allem ernsthaft auseinandersetzen würde, was mir so widerfährt, wäre ich schon längst wahnsinnig. | |
Was ist das Schlimmste daran? Was lässt Sie fast wahnsinnig werden?
Yorke: Es ist wirklich nicht einfach zu entscheiden, welche dieser täglichen Erlebnisse wohl einen Einfluss auf deine Persönlichkeit nehmen werden, wenn dir deine eigene innere Mitte völlig abhanden gekommen ist. Das letzte Mal, dass diese mir bewusst begegnet ist, war in einem Hotelzimmer in New York. Ich war zu verkatert, um sie einzupacken. Wahrscheinlich hängt sie dort immer noch auf einem Bügel im Kleiderschrank, (lacht dunkel) Ich bin inzwischen ausschließlich auf meine Intuition angewiesen, denn ich bin absolut überfordert damit, rational zu entscheiden, was wichtig und was nebensächlich ist. Diese Grenzen verwischen immer mehr. | |
Wie ist es mit den Konzerten, diesen unbeschreiblichen Reaktionen auf Ihre Musik, dieser besonderen Schwingung, die Sie soeben beschrieben? Gibt die Ihnen keine Kraft?
Yorke: Im Moment leider nicht. Im Gegenteil, es quält noch mehr. Es war immer die Erfüllung meiner Wunschträume, unsere Musik vor so vielen Menschen wie möglich zu spielen. Doch inzwischen mutiert ausgerechnet das zusehends in harte körperliche Arbeit ohne den geringsten Befriedigungsfaktor. Es ist eine Schande, dass es so weit gekommen ist, denn zu Beginn der Tour waren wir so motiviert wie noch nie. Entsprechend haben wir bei den ersten Konzerten in den Staaten wirklich alles gegeben, was in uns steckt, und natürlich waren wir bemüht, diesen extrem hohen und kräftezehrenden Level beizubehalten. Doch nach ein paar Wochen stößt du ganz automatisch an deine physischen Leistungsgrenzen und dein Körper sagt dir: ,Mann, schalte mal einen Gang runter, sonst spiele ich nicht mehr mit!’ Diese physischen Wände tun sich mittlerweile jeden Abend vor uns auf. Manchmal stehe ich abends auf der Bühne und mein ganzer Körper versucht mich zu überzeugen, dass es das Coolste wäre, auf der Stelle in Tiefschlaf zu verfallen. Damit einher geht natürlich auch deine psychische Verfassung. Es existieren dermaßen viele Eindrücke, die auf dich einprasseln und in deinem Kopf herumschwirren. Aber du hast schlicht und ergreifend nicht die Zeit, dich angemessen mit ihnen auseinander zu set- zen. Ein weiterer negativer Nebeneffekt ist die Tatsache, dass einen die eigenen Songs anfangen zu nerven, weil man sie spielen muss, ob man will oder nicht. Das ist ein zutiefst unbefriedigendes Erlebnis. | |
Wie erwehrt man sich solcher Momente?
Yorke: Man muss konsequent sein. Wir werden zum Beispiel „Creep" mit ziemlicher Sicherheit nie mehr spielen, weil wir es einfach nicht mehr hören können. Und nicht selten habe ich auf dieser Tour einen Song mittendrin abgebrochen, wenn ich bemerkte, dass ihn die ganze Band nur noch lustlos herunterspielt und nicht mehr wirklich bei der Sache ist. | |
Dabei möchte ich behaupten, dass der gemeine Fan den Unterschied zwischen einem gerade noch erträglichen und einem auch nach Ihren Maßstäben brillanten Konzert ohnehin nicht wirklich mitbekommt. Ein Radiohead-Konzert ist immer ein außergewöhnliches Erlebnis, auch an offenbar schlechten Abenden wie dem gestrigen.
Yorke: Man darf sich auch nichts vormachen, die Regeln eines Livegigs haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert: Ein Konzert heißt heutzutage nicht umsonst Show, und wir Musiker haben alle Attribute eines Entertainers zu erfüllen. Eine einwandfreie musikalische Darbietung ist heute einfach zu wenig, man muss sich darüber hinaus präzise Gedanken über eine umfassende All -round-Unterhaltung machen, was wiederum eine Menge deines kreativen Potentials auffrisst. Die meisten Hallen, in denen wir während der USA- und der England-Tour gespielt haben, waren unfassbar ekelhafte, riesengroße, schwarze Löcher mit einer grauenhaften Akustik, die du irgendwie mit Atmosphäre füllen musst. So geben wir Unmengen von Geld für adäquate PA-Anlagen aus, indem wir die Soundsysteme schon lange im voraus auf die jeweiligen Hallen abstimmen, anstatt mit einer Standard-PA herumzureisen. Gleiches gilt für das Licht: Wir haben so lange an der Lightshow gefeilt, bis wir mit möglichst wenig Mitteln den größtmöglichen Effekt erzielten. Wir versuchen so, den aktuellen Entwicklungen im Rockbusiness Rechnung zu tragen, ohne uns zum Affen zu machen und zu einem Rockstar-Abziehbild zu verkommen. Eins ist klar: Für die kommenden Touren muss etwas passieren. Der Rahmen, in dem unsere Konzerte im Moment stattfinden, ist nicht adäquat. Hätten Sie selbst für möglich gehalten, dass Ihr nunmehr acht Monate altes Album „OK Computer" weltweit auf eine derartige Begeisterung stoßen würde? Yorke: Nicht unbedingt, nein. Natürlich hofft man, dass es Menschen gefällt. Aber man weiß es nicht. Wie kam es dann dazu? Yorke: Ein Grund ist sicher: In Europa, insbesondere hier in England, wurde „OK Computer“ seitens unserer Plattenfirma geradezu ,über-hyped’, aber das ist ja bekanntlich ein britisches Phänomen, gegen das du als Band völlig machtlos bist. Glücklicherweise scheinen jedoch die Fans, die zu unseren Konzerten kommen, keine Folge dieses Mega-Hypes zu sein. Die große, hässliche Maschinerie -heute top, morgen flop - scheint uns weitestgehend verschont zu haben. Ziemlich verrückt war es allerdings auf unserer gerade absolvierten Nordamerika-Tournee: Zum ersten Mal in unserer Karriere haben wir dort diese typischen Superstar-Begleiterscheinungen zu spüren bekommen, mit Menschenmassen, die sich um deine Limo drängen und dir fast die Scheiben ein-schlagen. Und dort trat auch das oberngeschilderte Phänomen des Trend-Hörers verstärkt auf. So war zum Beispiel das Konzert in Toronto ein absoluter Wendepunkt unserer Tour-Karriere: Wir spielten dort in einer ausverkauften 6.000er-Halle, und wirklich alles lief falsch. Es begann mit einer wahren Stagediving-Orgie - mir ist völlig schleierhaft, wie man zu unserer Musik stagediven kann. Der Großteil des Publikums bestand aus Kids unter 16. Ich wusste absolut nicht, was ich zu denen zwischen den einzelnen Songs hätte sagen sollen. So haben wir das komplette Set gespielt, ohne auch nur den Ansatz einer Verbindung mit dem Publikum hersteilen zu können. Nicht einer schien den Kern unserer Musik zu verstehen. Ich kam mir vor wie ein beschissener Tanztee-Unterhaltungskünstler, and nobody gives a fuck! Das ist krank. | |
So ist das nun mal mit der Rockmusik.
Yorke: Und dabei spielen wir überhaupt keinen Rock. Sondern? Yorke: Popmusik, was sonst? | |
Rockmusik, Popmusik: Am Ende ist die Rezeption doch überall die gleiche. Und auch die Anforderungen an Sie, als Pop- oder Rockstar.
Yorke: Exakt. Erst gestern habe ich mich mit unserem Manager über diesen Umstand unterhalten. Er sagte: „Thom, die Leute wissen, dass du todmüde bist. Sie können sich denken, dass deine Kraftreserven verbraucht sind. Aber das ist völlig egal! It’s showtime! Du hast dich für einen Beruf entschieden, der zwangsläufig einen Showaspekt mit sich bringt. Du hast jetzt Erfolg, also musst du mitspielen.“ Und er hat Recht! Ein Freund würde dich einfach schlafen lassen, wenn du müde bist. Aber unsere Fans sind etwas anderes als Freunde, und es ist vollkommen legitim, dass sie mir mehr abverlangen als eigentlich in mir steckt. Sie haben das Recht dazu, alles zu fordern. | |
Da Sie vorhin von ,Hype’ sprachen: Wie fühlt man sich als „momentan wichtigste Band der britischen Rockmusikszene“, wie der NME neulich titelte?
Yorke: Nun, solche Dinge kommen und gehen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich sehr beschämt und verlegen bin, wenn gewisse Leute oder Medien beginnen, über Rockmusik zu reden. Es ist so peinlich anzusehen, wie sie die Ideale der Rockmusik aus Marketing-Zwecken instrumentalisieren und im wahrsten Sinne des Wortes verkaufen. Das alles ist so unglaublich weit weg von der ursprünglichen Idee, die hinter dem Musikmachen steht. | |
Wie meinen Sie das?
Yorke: Die Intentionen des Konsumenten, eine Band zu mögen, verlagern sich immer mehr weg von der Musik und hin zu Mode-Aspekten. Die Fans einer Band verbindet immer seltener die eigentliche Musik, ihr Fanatismus definiert sich vielmehr über das Teilen eines gemeinsamen Medien-Erlebnisses. Sie benutzen die Band somit als Vehikel, um eine gewisse Szene-Zugehörigkeit- zu demonstrieren, so ähnlich wie bei Markenklamotten. Entsprechend gewinnen die nicht-musikalischen Aspekte einer Band immer mehr an Bedeutung: Was hat der Sänger an, was hat der Gitarrist für einen Haarschnitt und dergleichen mehr. Und inwieweit kann ich mich von der Masse absetzen und Coolness demonstrieren, indem ich eine bestimmte Band mag. | |
Was hat das mit Ihnen zu tun? Sehen sie sich als derzeit coole Band?
Yorke: Ich weiß es noch nicht genau. Wir hatten, wie gesagt, die Befürchtung, aber es scheint sich zumindest nicht überall zu bestätigen. | |
Würden Sie denn lieber mit einem semierfolgreichen Musiker tauschen, der ein paar Platten weniger verkauft, seine Miete zahlen kann, ansonsten aber in Ruhe gelassen wird?
Yorke: Diese Wahl habe ich nicht, insofern ist der Gedanke völlig irrelevant. Musiker leben nun mal mit den Folgen kapitalistisch orientierter Marktmechanismen. Kauf ich deine Platte, will ich wissen, wer du bist. Das geht soweit auch in Ordnung, man muss nur lernen, damit umzugehen. Wir sind unter anderem mit R.E.M. und U2 getourt, und dabei ist mir aufgefallen, wie verdammt locker diese Bands mit den Begleiterscheinungen ihres Erfolges umgehen. Sie haben gelernt, dieses Leben als Normalität zu verstehen, ohne dabei durchzudrehen. Die von Ihnen gestellten Fragen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nur sehr unbefriedigend beantworten, denn ich stelle sie mir momentan selbst andauernd. Eine wirklich zufriedenstellende Antwort habe ich bis jetzt allerdings noch nicht finden können. | |
Welche dieser Fragen möchten Sie sich am ehesten beantworten können?
Yorke: Wie halte ich die Fäden zusammen? Wie Sie wissen, bin ich ein Kontroll-Freak. | |
Und die Antwort?
Yorke: Derzeit habe ich einfach das Gefühl, eben nicht alles unter Kontrolle zu haben. Deswegen möchte ich so viel wie nur irgend möglich selbst machen. Das ist zum Beispiel der Grund, warum wir uns eigenes Studio-Equipment gekauft haben, auch wenn wir überhaupt keinen Platz haben, es richtig aufzustellen. Wir wollen die Kontrolle über den Fortschritt und die Richtung unserer Aufnahmen haben. Und nur so bekommt man auch einen Bandsound hin, einen ganz spezifischen, unverwechselbaren Klang, der über einen langen Zeitraum mit deinem eigenen Equipment wächst. Es ist ein erhebendes Gefühl, wenn du dir später die Aufnahmen anhörst und denkst: Ja, das ist der Radiohead-Sound!’. „OK Computer" ist der erste Versuch, der in diese Richtung geht. Es ist das erste Album, von dem ich sagen würde, dass es einen ureigenen, für uns typischen Klang aufweist. Natürlich beinhaltet es noch die Fehler, die einem ersten Versuch anhaften, aber es zeigt zumindest die Richtung, in die wir uns bewegen wollen. Deshalb ärgert es mich auch so sehr, dass so viele Leute darüber schreiben, es sei ein so großartiges Album, und es wäre am Limit dessen, was wir leisten können. Das ist völliger Schwachsinn! Es ist unser erstes wirklich ordentliches Album, aber ich bin überzeugt, dass wir noch sehr viel weiter gehen können. | |
Sie erwähnten gerade R.E.M. und U2: zwei Bands mit extrem präsenten Sängern und Frontmännern, ja Leitfiguren einer ganzen Generation. Auch Sie sind nun auf dem Wege, eine solche Figur zu werden. Denken Sie darüber nach?
Yorke: Ja sicher, aber nicht in dem Maße. Natürlich ist mir diese Tatsache bewusst, denn ich hatte schließlich auch mal Idole, und manche davon, zum Beispiel The Smiths, haben auch heute noch einen gewissen Effekt auf mich. Mann, wie gerne wäre ich damals wie Morrissey gewesen! Aber was bleibt, wenn wir den Tatsachen ins Auge sehen? Die Jugendlichen, für die ich im Moment einen gewissen Vorbildcharakter zu besitzen scheine, werden in fünf Jahren einen feinen Mittelklasse-Job haben, in einem schicken Mittelklasse-Haus wohnen, mit einem netten Mittelklasse-Partner ein paar liebe Mittelklasse-Kids zeugen und sich einen Dreck um die Dinge scheren, auf die ich heute einen Einfluss haben könnte. Natürlich - oder vielmehr hoffentlich - werden sie sich an bestimmte Momente ihrer Vergangenheit erinnern, die sie mit Radiohead verbinden, aber mehr auch nicht. | |
Das klingt demoralisierend. Ist da nicht doch mehr? Irgendetwas, das Sie gegenüber der restlichen Menschheit auszeichnet, besonders macht?
Yorke: Künstlerisch möglicherweise, aber als Mensch: nein. Ich kann einfach diesem allgemeinen und fundamentalen Irrglauben nicht zustimmen, dass man durch einen gewissen Erfolg in eine andere Sphäre des Lebens vorstößt und irgendwie wichtiger wird als andere Menschen, dass sozusagen deine Sterblichkeit relativiert wird. Genau dieser Punkt lässt die meisten Menschen nach Ruhm streben. Ich halte diese Einstellung für völlig gestört, denn nur weil einem ein gewisser Zuspruch für sein Schaffen widerfährt, wird man doch zu keinem privilegierten Lebewesen. Jetzt, wo ich selber in dieser Situation stecke und erlebe, wie mich wildfremde Menschen für etwas Besonderes halten, wirkt die ganze Situation noch viel gestörter auf mich. Es ist... (vergräbt den Kopf in einem Kissen) | |
Ist die Tatsache, viele Menschen mit seiner Musik zu berühren, den durch Erfolg erzwungenen Verlust der Intimsphäre wert?
Yorke: Unbedingt. Diesen Aspekt am Erfolg finde ich überhaupt sehr aufregend, dass du etwas erschaffst, was aus dir heraus entsteht, was also quasi Teile deiner ganz individuellen Persönlichkeit reflektiert, und was trotzdem von so vielen anderen Menschen verstanden und nachvollzogen werden kann. Als beispielsweise die Smiths ihr „The Queen Is Dead“-Album oder R.E.M. «Automatic For The People" rausbrachten, da dachte ich: „Ja, das ist es, ich verstehe euch, ihr sprecht meine musikalische Sprache!“ Und jetzt beobachte ich, wie es anderen mit unseren Songs ganz ähnlich geht. Diese Bestätigung ist so ziemlich das Größte, was einem widerfahren kann, denn es zeigt, dass man mit seinem Tun auf dem richtigen Weg ist. Diese Reaktion und die damit verbundene Gewissheit, dass man offensichtlich etwas erschaffen hat, was zumindest ansatzweise eine „Queen Is Dead“-Qualität aufweist, lässt alle anderen negativen Begleiterscheinungen nebensächlich werden. Seiner Arbeit auf diese Weise eine gewisse Bedeutung zu verleihen, ist wirklich erstaunlich. | |
Noch so ein Ding mit dem Ruhm sind die Geschichten, die man über Sie erzählt. Jeder will über Sie schreiben, etwas Neues wissen. Wie zuletzt, als britische Printmedien Ihnen eine kurz vor der Umsetzung stehende Selbstmordsehnsucht andichteten.
Yorke: Das war tatsächlich unglaublich. Eine aus akutem Stress resultierende vorübergehende Unpässlichkeit wurde hier zugunsten eines Aufmachers vorsätzlich missdeutet. Aber das ist ja auch nur eine Geschichte von vielen. | |
Inwieweit hat sich Ihr Verhalten gegenüber den Medien durch diese Erfahrungen geändert?
Yorke: Ich lasse sie inzwischen einfach so wenig wie möglich über mich wissen. Ich denke, es war ein grundlegender Fehler meinerseits, anzunehmen, man könnte sich auf diese Weise zu gewissen Standpunkten bekennen oder sich erklären. Ich habe keine Ahnung, wie viele verschiedene .endgültige Wahrheiten’ ich schon über Radiohead gelesen habe, die absolut gar nichts mit uns zu tun haben. Wenn ich also hingehen und ihnen wirklich die Wahrheit über uns erzählen würde, so ginge diese .wahre Wahrheit’ in dem Wust von .falschen’, also erfundenen Wahrheiten völlig unter. Ich habe keine Lust darauf, dass unsere wahre Geschichte, unsere Hintergründe nur ein paar kleine unbedeutende Details zu der großen, künstlichen Medien-Gesamtwahrheit hinzuaddieren. Deshalb ist es auch völlig irrelevant, ob du missverstanden wirst oder nicht, denn diese .Medienwahrheit’ fernab aller Tatsachen hat ein derartiges Eigenleben, dass du sie sowieso nicht bewusst steuern kannst. Es ist eine zwiespältige Angelegenheit: Auf der einen Seite muss man zwar notgedrungen mit ihnen Zusammenarbeiten, auf der anderen Seite darf man sie aber auch nicht zu viel über sich wissen lassen. | |
Wenn man versuchen wollte, die Richtung von Ihrem Debüt bis zu „OK Computer" nachzuzeichnen, so müsste man annehmen, dass die nächste Platte die schönste und homogenste Gitarren-Musik beinhaltet, die die Welt je gehört hat. Die Melodien, die Tiefe, die Schönheit, all das wurde immer intensiver. Ist die schön gespielte Gitarre das ultimative Radiohead-Instrument, um Intensität zu erzeugen?
Yorke: Ich glaube nicht. Es gibt so unendlich viele andere Instrumente da draußen, die Stimmungen erzeugen können, da ist die Gitarre nur eins von vielen. Der Grund für den reichhaltigen Einsatz von schönen Gitarren auf „OK Computer" ist ein anderer. Ich bin einfach kein Freund der Argumentation, dass Techno die Zukunft der U-Musik sein soll. Das ist einfach lachhaft. Der Kram, der heute als neu und trendy gilt, existiert schon seit circa 15 Jahren. Es ist nur vorher keiner auf die Idee gekommen, diese ursprüngliche Randgruppenmusik als ,hip’ zu erklären, geschweige denn als Ausweg aus einer angeblich festgefahrenen Musikszene. Die ganze Sache ist doch ein einziges großes Marketing-Ding! Andererseits bin ich aber ebenso wenig ein Anhänger des Rock’n’Roll-Mythos, das ist ähnlicher Bullshit, nur ein paar Jahre älter. Die einzige Einstellung, die ich unterschreibe, ist die, jedes Instrument und jeden musizierfähigen Computer kreativ und sinnvoll zu nutzen - ganz unabhängig davon, welchem Schema oder welcher musikalischen Kategorie es normalerweise zugerechnet wird. Deshalb haben wir auch während der Aufnahmen zu „OK Computer" unzählige Musikgeschäfte nach ungewöhnlichen Instrumenten durchstöbert, selbst wenn wir nicht die geringste Ahnung hatten, wie man sie spielt. Aber das ist auch völlig unerheblich, wenn es einem nur gelingt, dem Instrument interessante, die Musik bereichernde Töne zu entlocken. Von daher sind Computer auch okay, man muss sie nur adäquat nutzen. | |
Wie sind Sie zu dieser Einstellung gelangt, allen Musikstilen und -kate-gorisierungen so offen gegenüber zu stehen?
Yorke: Durch Inspiration. Ich versuche, die musikalischen Ziele und Ideale derer nachzuvollziehen, die auf mich schon immer einen großen Einfluss hatten, die ich für intelligente Komponisten halte. | |
Lässt sich die Empfangsbereitschaft für neue Impulse irgendwie forcieren? Durch Drogen zum Beispiel?
Yorke: Das hat eigentlich nicht viel miteinander zu tun, denn diese Impulse -oder sagen wir Inspirationen - resultieren aus den Erlebnissen und Erfahrungen, die mir täglich widerfahren. Mein Leben ist zur Zeit aufregend genug, an Impulsen mangelt es wirklich nicht. Vielleicht benötigen Menschen, deren Leben völlig gleichmäßig und ohne Aufregung verläuft, Drogen als Impulsvermittler. Diese Leute halte ich aber ohnehin nicht für besonders kreativ, denn sonst wäre ihr Leben wahrscheinlich weniger öde. Was uns betrifft: Es lässt sich nicht völlig leugnen, dass gewisse Momente oder einzelne Einfälle das Resultat eines guten Joints sind. Das darf aber niemals die Grundvoraussetzung für Kreativität sein. Mir fällt es sogar entschieden leichter, mit klarem Kopf zu arbeiten, denn dann komme ich wesentlich schneller auf den Punkt. Aber wenn sich die anderen zukiffen wollen, habe ich damit keine Probleme. Schließlich sind Drogen von jeher ein fester, akzeptierter Bestandteil künstlerischer Kreativität. | |
Würden Sie mir, trotz all dem Wirbel um Ihre Band und Ihre Person, trotz Müdigkeit und Ihrer Suche nach dem richtigen Platz sagen, dass Sie im Moment die beste Zeit Ihres Lebens erleben?
Yorke: Die beste Zeit meines Lebens beginnt hoffentlich in etwa acht Monaten, wenn dieser ganze Wahnsinn um uns herum erst mal ein Ende hat und ich zum ersten Mal wieder die Gelegenheit habe, mich hinzusetzen und das Erlebte zureflektieren und zu verarbeiten, um das für mich Nützliche herauszufiltern. Und vor allem: Etwas Neues zu kreieren. In den letzten Wochen, bevor das Album erschien, hatte ich fast jede Nacht einen Traum von riesengroßen schwarzen Monsterwellen, die die ganze Stadt, in der ich in diesem Traum wohnte, zu verschlingen drohten. Ich rannte splitternackt immer wieder am Strand dieser Stadt auf und ab, um diesen riesigen Wellen irgendwie zu entkommen. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben mir die Symbol-Ebene dieses Traumes klar gemacht: Im Moment wird es von Tag zu Tag schwieriger, in diesem Unwetter der Sinnesreize, in dem ich mich zur Zeit befinde, nicht ganz und gar unterzugehen. Doch irgendwann kommt immer eine Ruhe nach dem Sturm. | |
Herr Yorke, ich bedanke mich für das Gespräch. |