Radiohead
Er gilt als Medienmuffel, launische Diva und musikalisches Genie. Attribute, die Radiohead-Sänger Thom Yorke allenfalls ein müdes Lächeln abringen. Denn im wahren Leben ist der schmächtige Thirtysomething ein introvertiertes Sensibelchen, das nur ein Ziel verfolgt: möglichst unberechenbare Musik zu machen. Und das lebt er auf seinem neuen Album ,Hail To The Thief' konsequent aus. Wir sprachen mit einem genialen Bandleader & Songwriter und seinem Bassisten, Colin Greenwood.
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Ein Treffen mit Thom Yorke ist immer eine Überraschung. Eben weil man nie weiß, in welcher Stimmung sich der Mann mit dem Silberblick gerade befindet - und zum anderen, weil er schlichtweg winzig ist. Ein kleines, schmächtiges Männchen mit rotem Stoppelbart und wüstem Wuschelkopf, das sein Gegenüber genau fixiert, anfangs merklich nervös ist und sich für seine epischen Antworten zumeist mehrere Minuten Bedenkzeit lässt. Aus gutem Grund: Er hat seit fünf Jahren kaum Interviews gegeben und ist schlichtweg aus der Übung. „Nicht, dass ich sie vermisst hätte, aber ich habe stellenweise einfach Angst, das Falsche zu sagen. Eben weil icKweiß, dass es gleich wieder an die große Glocke gehängt und gegen mich verwendet wird." Was bei'seinem sechsten Album ,Hail To The Thief' quasi vorprogrammiert ist. Denn das Werk ist so politisch, so zynisch und bissig, dass es jede Menge Kritik hagelt - vor allem aus Amerika. „Wir haben wahnsinnig viel Hass-Post von Leuten bekommen, die meinen, wir würden ihren Präsidenten beleidigen." Dabei verbirgt sich hinter dem Titel lediglich die Adaption jenes berühmten Slogans, den demokratische Demonstranten nach Bushs umstrittenem Wahlsieg benutzten - als ihn der Oberste Gerichtshof trotz unvollständiger Stimmenauszählung zum Staatsoberhaupt erklärte. „Das hat mich wahnsinnig beschäftigt", konstatiert Thom. Wie überhaupt brisante Themen ä la Afghanistan, Irak sowie die Verknüpfung von Öl, Politik und Krieg. Gleichzeitig löst sich der Mann aus Oxford aber auch von der radikalen Verweigerungshaltung der letzten Jahre. Denn nach dem 1997er Meilenstein ,OK Computer', einem der erfolgreichsten Brit-Alben aller Zeiten, hatte er die kommerzielle Bremse getreten - und auf den Nachfolgern ,Kid A' sowie ,Amnesiac' derart wild mit Keyboards, Sequenzern und Loops experimentiert, dass Radiohead stilistisch nicht mehr greifbar waren. Für Bassist Colin Greenwood nicht umsonst „die schwierigste Phase, die ich mit dieser Band erlebt habe: Eben von heute auf morgen komplett umzudenken, sein Spiel in Frage zu stellen und einen neuen Ansatz zu wählen. Es lief darauf hinaus, seinen Part ohne angestammtes Instrument abzuliefern." Und das hatte Auswirkungen, die Kritikern wie Fans die Sprache verschlugen: Aus der Song- und Harmonie-orientierten Band wurde eine anarchische Klang-Guerilla, deren erklärtes Ziel in musikalischer Selbsterfahrung, im Ausloten der eigenen Grenzen und im Bruch mit bewährten Konventionen lag. „Es ging mehr um Sounds, als um Songs", ergänzt Colin. „Wir haben eine Art Flickenteppich gestrickt, zu dem jeder etwas hinzufügte. Dabei lief es meistens so, dass uns Thom CDs mit Gesang und akustischer Gitarre oder Klavier gab und wir den Rest beisteuerten." Eine Vorgehensweise, die andere Bands vor unlösbare Aufgaben stellen dürfte - nicht aber die Herren Yorke (voc), Ed O'Brien (g), Phil Selway (dr) sowie Jonny (g) und Colin Greenwood (b). Denn wie Colin, der nur deshalb Bassist wurde, weil er einst nicht genug Geld für eine vernünftige Gitarre hatte, hat sich jeder der Fünf über die jahre kontinuierlich weiterentwickelt, neue Ideen und Ansätze verfolgt und auch gezielt Unterricht genommen. „Ich habe Theorie-Stunden bei einem Typen namens Laurence Canti bekommen, der in England ein sehr bekannter Bassist ist. Er brachte mir das ähnlich bei, wie Luke Skywalker in ,Star Wars'. Eben nach dem Buch ,The Inner Game Of Music' von Barry Green - dem Kontrabassisten des Chicagoer Sinfonieorchesters. Der spielte Tennis, und sein Lehrer vermittelte ihm alles über Entspannung und innere Ruhe. Und diesen Ansatz wandte er auch auf sein Bass-Spiel an. Das ist eine meditative Sache: Der Bass ist einfach nur ein begleitendes Element - und als Spieler reagierst du auf das, was du in einem bestimmten Moment wahrnimmst. Ein gutes Beispiel ist der 15jährige Sohn meines Lehrers, der auch E-Bass spielt. Er wirkte bei einem Schulkonzert mit und hat irgendwie den Faden verloren. Doch statt die Musik einbrechen zu lassen, hat er einfach acht Takte lang einen rhythmischen Sound gemacht und ist dann wieder in den Song eingestiegen. Das ist alles, worauf es ankommt: Den Puls am Laufen zu halten."
Und das tun Radiohead auf ,Hail To The Thief' mit weitaus versöhnlicheren Tönen -eben atmosphärisch dichte Rock-Songs, die Yorke nach eigenem Bekunden so leicht fielen, wie schon lange nicht mehr und die auf einer simplen, minimalistischen Instrumentierung basieren. „Bass is basic", grinst denn auch Colin und verweist auf sein fast spartanisches Setup, das aus einem Fender Precisi-on Bass, einem Musicman Stingray Bass und einem Steinberger NS Upright Stick Bass sowie einem Gallien-Krueger-RB800-Bass-Amp besteht. „Ich brauche, abgesehen von einem dbx-fLompressor, keine Effekte sondern stöpsle mich direkt in den Ampeg ein", so Colin. „Und wenn du dir gute Musiker vor Augen führst, ändern die ihren Sound nicht durch das( Equipment, das sie benutzen, sondern du roh die Art wie sie spielen, anschlagen, und durch die Rhythmen, die sie verwenden. Rhythmus ist das Wichtigste - das habe ich von,Thom gelernt." | |
G&B: Thom, wie würdest du dich als Song-writer charakterisieren? Bist du ein zeitgenössischer Dada-Künstler?
Thom: Ich bin eine diebische Elster. Und manchmal denke ich auch, dass das meine größte Schwäche ist. Aber es ist halt so, dass ich bestimmte Dinge sehr, sehr schnell absorbiere. Wenn ich zum Beispiel viel von einer bestimmten Art Musik höre, übernehme ich sie auch in meine eigenen Songs. Insofern war diese Platte wirklich eine interessante Erfahrung, denn ich konnte mich lange Zeit nicht auf sie konzentrieren. Erst als die anderen sich richtig reingekniet haben, ist der Funke auch auf mich übergesprungen. Ich wusste lange Zeit nicht, wo wir hinwollen oder wie das Ganze klingen könnte. Und das liegt eben an diesem Problem des Absorbierens: Wenn ich zu viele unterschiedliche Sachen höre, tendiere ich dazu, wahllos zwischen diesen Einflüssen hin- und herzupendeln, ohne mich für einen entscheiden zu können. | |
G&B: Wobei euch diese Platte angeblich viel leichter gefallen ist, als die direkten Vorgänger ...
Thom: Und das ganz einfach, weil es viel weniger Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten darüber gab, in welche Richtung wir gehen sollten. Denn das Ganze ist ja nichts weiter, als eine kontinuierliche Fortsetzung dessen, was wir mit ,Kid A' und ,Am-nesiac' angefangen haben. Es hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir mittlerweile gelernt haben, die Songs dieser Alben live zu spielen. Das hat unsere Performance und unsere Art des Spielens gewaltig verändert - und unsere musikalischen Fähigkeiten in entscheidendem Maße verbessert. Dieser Aspekt ist mit in diese Aufnahmen geflossen. Es war eine sehr kontinuierliche Sache. | |
G&B: Dann haben die letzten Alben neue kreative Türen geöffnet?
Thom: Zumindest ein bisschen. Ich hoffe wirklich, dass wir inzwischen einen eigenen Sound und eine eigene Identität haben. Gleichzeitig wollen wir aber nicht nur eine Sache machen. Das ist uns zu wenig. Und dazu wären wir auch gar nicht in der Lage. Wir halten das ja noch nicht mal in einem Song durch, (lacht) | |
G&B: Wie kommt es eigentlich, dass Gitarrist Ed O'Brien jedes Mal verkündet, das nächste Album bestehe wieder aus dreiminütigen Pop-Songs, und dann ist es gar nicht so?
Thom: Hahaha! Stimmt. Wir sitzen immer wieder zusammen und sagen: „ja, Ed, klar ist das so." Das ist wirklich lustig - zumal er ja eigentlich Recht hat. Denn diesmal sind wir viel direkter. Nicht, dass es ein simples Album wäre, aber die Song-Strukturen erscheinen mir doch nicht wirklich komplex -ganz egal, ob wir elektronische Sounds oder einfach nur akustische Gitarren und Drums benutzen. Und was den Gesang betrifft: Es reizt mich wieder viel mehr, richtig zu singen, statt mit unterschiedlichen Effekten zu experimentieren. | |
G&B: Und Simplizität steht auch für mehr Spaß?
Thom: Was die Musik betrifft sicherlich. Und auch was die Texte angeht, ist es weit weniger analytisch. Eben einfach nur ein sich treiben lassen und in den Tag hineinleben. Es hat wieder mehr mit einer spontanen Performance zu tun, als das bei ,Kid A' oder ,Amnesiac' der Fall war. Die sind allesamt im Studio entstanden, wurden dann editiert und weiterbearbeitet. Und das war allein deshalb eine wichtige Erfahrung, weil es unsere Arbeitsweise vollständig auf den Kopf gestellt hat. Das haben wir diesmal fortzusetzen versucht, indem wir im Studio kleine Performances hingelegt und einen Song pro Tag aufgenommen haben.Eben ganz schnell und so, dass du dich eine Woche später schon gar nicht mehr daran erinnern konntest, was du in der Vorwoche getan hast. Deswegen bewahrst du dir auch sehr viel Objektivität. Was gut ist - denn wir tendieren dazu, alles viel zu stark zu analysieren. | |
G&B: Was euch früher fast das Genick gebrochen hätte. Waren die Aufnahmen zu ,Kid A' und ,Amnesiac' wirklich so traumatisch?
Thom: (lacht) Ich denke, dass dich im Grunde jedes Album tötet! Auch, wenn dieses unglaublich Spaß gemacht hat. Keine Ahnung, warum, aber es war einfach sehr leicht und vor allem sehr schnell fertigzustellen. Aber als es dann ums Mixen ging, war es plötzlich sehr langweilig. Jede Platte hat etwas, dass dir tief in die Magengrube tritt, und diese war keine Ausnahme. | |
G&B: Wie gehst du mit den Erwartungshaltungen der Medien und Fans um, die immer noch auf ein zweites I ,OK Computer' hoffen?
Thom: Wir hatten ja mehrere Alben dieser Art. Und als die letzten beiden erschienen, hatte ich lange Zeit das Gefühl, als würden wir damit gegen diese Erwartungen ankämpfen - nämlich jedes Mal einen weiteren, möglichst großen Schritt zu machen. Und das hat mich eine Zeit lang wirklich belastet. Wahrscheinlich, weil ich es einfach nicht fassen konnte, dass die Leute so etwas verlangen - als wir live auftraten haben sie das ja auch nicht getan. Außerdem habe ich extrem lange gebraucht, um mich mental auf dieses Album einzustimmen und den Kopf freizubekommen. Im Grunde gelang mir das erst, als mir meine Freundin Rachel eines Abends regelrecht die Leviten las: „Warum lässt du es nicht einfach passieren? Mach eine Platte und warte ab, was passiert. Mach dir nicht so viele Gedanken. Tu es einfach!" Und genau das habe ich. Ich habe mich treiben lassen und versucht, so wenig Mist wie eben möglich zu bauen. Ein ganz neuer Ansatz. | |
G&B: Wie denn, ohne Druck?
Thom: Richtig! Seit ,Amnesiac' habe ich das Gefühl, als könnten wir tun und lassen, was wir wollen. Dabei setzen wir eigentlich nur das fort, was wir schon die letzten paar Jahre machen. Wir scheren nicht mehr seitlich aus, sondern sind wirklich glücklich an diesem Ort, den wir für uns selbst geschaffen haben. Und an dem wollen wir auch bleiben. Uns macht dieser Sound und dieser Ansatz wahnsinnigen Spaß. Es ist wie eine große Feier. Wie eine Auszeit. | |
G&B: Was Deutschland-Konzerte betrifft, beschränkt ihr euch dieses Jahr erst einmal auf Festival-Auftritte. Was können die Leute sonst noch erwarten?
Thom: Da bin ich mir noch nicht sicher, habe aber schon leichte Panikattacken. Eben weil es noch so viel Arbeit zu erledigen gibt, und ich auch nicht weiß, wie viel von dem neuen Material wir live bringen können. Deswegen werden wir uns wohl vornehmlich auf ältere Sachen beschränken. Aber wie gesagt, ich weiß es noch nicht. | |
G&B: Das klingt, als hättest du Angst vor der Bühne?
Thom: Habe ich auch! Und das ist nichts Neues: Ich habe immer panische Angst, auf Tour zu gehen - gerade mit neuen Stücken. ■ |