Transmitter!


„I hear ev'rything you're thinking
You can't help the way you sound“ *
Die größte Veränderung im Vergleich zu "The Bends" betraf die Produktion. Einige B-Seiten der "The Bends"-Singles "Bishops Robes" und "Molasses" beispielsweise, aber auch "Lucky" [wurde ‘95 speziell für die Bosnien-Benefiz-Compilation „Help“ aufgenommen] hatten wir bereits alleine mit Nigel Goodrich, der John Leckie bei den Aufnahmen zu "The Bend" schon als Assistent zur Hand gegangen war, als Engineer produziert. Die Session dauerte drei Tage. Drei Songs an drei Tagen ..., sehr erfolgreich übrigens. Wir wußten: das war es, was wir wollten - schnell, in verschiedenen Blöcken zu unterschiedlichen Zeiten und außerhalb Londons aufnehmen -, und wir wollten die Aufnahmen selbst machen.
Das war unser Plan für "OK Computer". Irgendwie funkionierte es anfangs allerdings nicht so richtig. Da wir alle noch nie produziert hatten, bereitete es uns große Schwierigkeiten zu entscheiden, was richtig oder falsch war. Das kostete eine Menge Zeit.
Es war ein Erziehungsprozeß. Aber wir machen nun einmal in erster Linie Musik für uns selbst, deshalb war es für uns entsprechend wichtig, auch die Produktion in die Hand zu nehmen. Momentan ist das ein ziemliches Novum, mal abgesehen von Dance-Acts wie CHEMICAL BROTHERS, THE PRODIGY oder MASSIVE ATTACK, arbeiten die meisten Bands mit einigen wenigen, wechselnden Produzenten. Wenn man in den Siebzigern ein Album aufnahm, dann hat man seine eigenen Vorstellungen mit Hilfe eines Engineers umgesetzt, um das Ergebnis nach Abschluß der Recording-Sessions selbst abzumischen.
„So look at my fingers vibrate
From their tip down down to my toes
Now I'm receiving your signal
We're gonna leave the land of noise“ *
Nach außen hin ist es vielfach schon der Bandname, der uns so einzigartig erscheinen läßt, uns für notorische Schubladendenker so schwer greifbar macht. Ich persönlich mag diesen Namen sehr, er ist wie eine Marke, sehr neutral, ... wir haben ihn von einem TALKING HEADS-Song. Tatsächlich ist er natürlich das Unwichtigste überhaupt. Nichts sollte unwichtiger sein als ein Bandname oder die Gesichter der Band-Mitglieder. ... KRAFTWERK bzw. die RESIDENTS haben die Idee mit der Anonymität bis zum Extrem getrieben, ... die Vorstellung, Musik würde ausschließlich von Computern erarbeitet, schien durchaus realistisch.
Der Titel des Albums hat allerdings weniger mit KRAFTWERK als vielmehr mit einem Image, also dem Gedanken, der hinter unserem Bandnamen und auch dem fantastischen Artwork des Albums steht, zu tun. Es ist sehr allgemeingültig, ... nicht so konkret. Toms Texte nehmen ja auch nicht mehr so direkt Bezug auf ihn selbst. Wir waren es einfach satt, über uns so Dinge wie "Tom's Psychiatric Report" lesen zu müssen. Im übrigen harmoniert die vage Aussage des Titels hervorragend mit dem Artwork und fokussiert die Aufmerksamkeit auf unsere Musik.
Ausschlaggebend für die Titel-Wahl war allerdings, daß die weltweit am häufigsten gebrauchten englischen Wörter "OK" und "Computer" sind. Außerdem ist es eine Art Kommentar zum Aufnahmeprozeß: Die Computer halfen uns dabei, auch wenn wir bis zuletzt nicht ganz verstanden haben, wie sie eigentlich funktionieren. Was du auf dem Album hörst, ist ein Prozeß aus versuchter Ausbeutung und immer wieder nicht zu vermeidender Kapitulation vor einer schwer faßbaren, äußerst komplexen Technologie.
„Now you and I have no secrets
Now baby, lemme read your mind“ *
Tom hat diesmal etwas völlig anderes versucht. Als wir "The Bends" aufnahmen, sagte John Leckie irgendwann zu uns, er sähe sich in der Rolle eines Sound-Fotografen, der Schnappschüsse von der Band mache, sie sammele und zu einem Ganzen zusammenstelle. Wie ein guter Fotograf wäre es seine Aufgabe, immer dann zur Stelle zu sein, wenn die Magie passiere, um diese dann einzufangen. Das Coole an dem, was Leckie sagte, ist, daß er nicht zu der Sorte Produzent gehört, die einem sagt, wer wo im Bild wie zu stehen habe. ... Mit den Worten auf "OK Computer" hat Tom etwas ganz Ähnliches versucht: Er hat Schnapschüsse gemacht, Images der Welt, seiner Umgebung eingefangen. Was ich an den Texten dieser Platte wirklich mag, ist die völlige Einheit, die sie mit den Sounds bilden.
Wenn du dir das Artwork des Albums anschaust, findest du dort sehr viel Symmetrie, Ikonographie ... - wie bei Reklame -, den Songs zugeordnete Symbole. Bandenwerbung. Die Songs selbst bestehen oft nur aus Phrasen, "Jackknife, Juggernaut" oder "Airbag Saved My Live" z. B., aber geradezu visuellen Phrasen. Die Songtitel sind schillernde, vielversprechende Produktnamen, ... dahinter allerdings kann sich alles, muß sich aber gar nichts verbergen. Je harmloser es klingt, desto größer ist die Überraschung, der Schock. Am besten gelang das meiner Meinung nach mit "No Surprise", du gleitest über diesen Song hinweg, als scheine er eine glatte Oberfläche zu haben, schaust du aber darunter, bist du tot, vom Nacken ab tot. Es geht darum, aus dem Wahnsinn heimzukehren und festzustellen, daß das Leben, das Zuhause, einen erstickt. Das erinnert mich sehr an ein Buch von John Cheever, es reflektiert ein leeres Vorstadtleben, in dem die Leute mit dem Zug zur Arbeit fahren und Valium nehmen, um die Langeweile zu ertragen. Alle nehmen Drogen, kaufen sie auf dem Friedhof hinterm Bahnhof und nehmen sie, um mit der erdrückenden Normalität ihres Daseins zurechtzukommen. Es ist der pure Wahnsinn.
„Baby I'm tuned to your wavelength
Lemme tell you what it says:
Baby your mind is a radio
Got a receiver inside my head“ *
Was mich gerade in England langweilt, ist, wenn eine Band ein neues Album herausbringt und darin nur ein oder zwei Ideen und Einflüsse fixiert hat, über die sie dann sagt: „Das ist das, was wir gerade machen.“ PRIMAL SCEAM z. B. zitieren momentan ständig CAN oder BLUR, die können kein Interview geben, ohne den Namen PAVEMENT fallen zu lassen. Bei uns ist das etwas anders, nenn mir einen Song, und ich kann dir sagen, wer oder was uns beeinflußt hat, wo wir bezüglich der Atmosphäre kopiert oder geliehen haben.
"No Surprise" ist z. B. sehr von SPARKLEHORSE beeinflußt, ein wenig von VELVET UNDERGROUND und sogar etwas von Country-Stuff wie WAYNE CAMPBELL, den unser Gitarrist Ed sehr verehrt. Was die Songstruktur betrifft, waren ganz bestimmt REM sehr wichtig.
Wir versuchen nicht, Sounds zu kopieren, wir versuchen, die Leidenschaft, die Liebe dahinter einzufangen. Wenn wir an den Tracks zu arbeiten beginnen, haben wir noch keine Titel für sie, in der Regel nennen wir sie "Neil Young Song" oder "Scott Walker Song". Der Song "Creep" vom „The Bends“-Album hieß z. B. sehr lange nur "Scott Walker Song". Einer der Produzenten, mit denen wir ursprünglich arbeiten wollten, dachte, es wäre ein SCOTT WALKER-Cover. Wenn du es dir richtig anhörst, klingt es natürlich gar nicht nach ihm, es hat viel zu lärmige Gitarren, es ist vielmehr das, was Tom mit seiner Stimme transportiert. SCOTT WALKER selbst hat einmal gesagt, seine Lieblingsband wäre RADIOHEAD, weil er Toms Stimme so liebt. Tom war für ein paar Tage auf einem anderen Planeten, als er das hörte. Es ist natürlich unmöglich, den Spirit eines SCOTT WALKER-Songs zu reproduzieren, aber es ist durchaus machbar, ein Stück mit derselben Leidenschaft zu produzieren.
* aus „Radiohead“ von den TALKING HEADS