"Ich habe alle fest im Griff"
Der britische Musiker und Radiohead-Sänger Thom Yorke, 37, über sein erstes Soloalbum "The Eraser" und die Chancen für eine neue ökopazifistische Protestbewegung im Pop



SPIEGEL: Mr Yorke, in der Musikbranche galt das neue Werk Ihrer Band Radiohead als das "am sehnlichsten erwartete Album des Jahres", so das Fachblatt "New Musical Express". Nun bringt Radiohead in diesem Jahr aber überhaupt nichts heraus. Stattdessen veröffentlichen Sie Ihr erstes Soloalbum unter dem Titel "The Eraser". Was ist los?
Yorke: Ich gebe zu, dass ein Druck auf der Band lastete, der uns gelähmt hat. Als wir vor zwei Jahren von unserer letzten Welttournee nach Hause kamen, sind wir in ein schwarzes Loch gefallen. Wir brauchten eine Auszeit. Und es fiel uns schwerer als erwartet, aus dieser Erholungspause zurückzukehren und uns wieder an die Arbeit zu machen. Ich hoffe, dass mein Soloalbum jetzt den Druck von der Band nimmt und die Aufmerksamkeit ablenkt.
SPIEGEL: Sie haben mal gesagt, Ihre Band funktioniere wie die Vereinten Nationen und Sie spielten dabei die Rolle der USA. Bedeutet Ihr Soloabenteuer nicht, dass das Verhältnis der USA zu den Vereinten Nationen zerrüttet ist?
Yorke: Nein, ich habe alle fest im Griff - bis auf diese verstockten Chinesen! Im Ernst: Wenn ich wirklich die Rolle der USA spielen würde, hätte ich gar nicht um Erlaubnis gefragt. Ich habe es aber getan. Und der Sicherheitsrat meiner Radiohead-Kollegen hat mir für "Eraser" grünes Licht gegeben. Sie wussten, wie wichtig mir diese Mission ist ...
SPIEGEL: ... die sich als Flucht nach vorn deuten lässt. Kann es sein, dass Ihre Band das neue Maß an Freiheit, das sie genießt, seit vor drei Jahren der Vertrag zwischen Radiohead und dem Musikkonzern EMI ausgelaufen ist, als lähmend empfindet?
Yorke: Exakt. Wir sind leider alle Perfektionisten, die nicht loslassen können, wenn es nicht sein muss. Und es muss nicht sein. Natürlich würde es helfen, wenn da eine Instanz wäre, die befiehlt: Stop! Abgabe! Das Album muss fertig werden! Ohne solche Zwänge kann man sich leicht verlieren. In unserem Fall ging es so weit, dass wir zeitweilig komplett den Kontakt untereinander einstellten und nicht mal mehr telefonierten - es gab ja keinen zwingenden Grund mehr. Zum Glück hat dann Jonny Greenwood, unser Gitarrist, sich aufgerafft und uns angetrieben, damit wir wenigstens auf Konzerttour gehen. Um überhaupt mal wieder was zu machen. Und auch, um ein paar neue Songs zu testen.
SPIEGEL: Ist also die stets gern gescholtene Musikindustrie, die auch Sie als "Bande von verdammten Schwachköpfen" geschmäht haben, vielleicht doch ganz nützlich, wenn es um die Fertigstellung eines Albums geht?
Yorke: Wir selbst hatten nie Grund, uns über die Industrie zu beschweren. Das ist aber kein Wunder, wir hatten ein- fach das Glück, dass mit Radiohead sehr schnell viel Geld verdient wurde. Grundsätzlich finde ich es aber abstoßend, wie sich die Plattenfirmen im Lauf der Jahre verändert haben. Nehmen Sie die EMI, mit der wir bisher zu tun hatten: Es geht den Leuten dort überhaupt nicht mehr darum, irgendein künstlerisches Risiko einzugehen, sondern fast nur noch um Gewinnmaximierung.
SPIEGEL: Benötigt eine so gründlich etablierte Band wie Radiohead überhaupt noch einen Plattenvertrag? Sie könnten Ihre neuen Songs statt auf einem Label doch gleich in Eigenregie im Internet vertreiben.
Yorke: Ich kann mir das vorstellen. Aber bevor wir uns über die Möglichkeiten des Internets den Kopf zerbrechen, müssen wir aus all den halbfertigen Sachen, die wir im Studio haben, jetzt erst mal ein paar wirklich überzeugende neue Radiohead-Songs zustande bringen.
SPIEGEL: Auf Ihrem Soloalbum singen Sie zu trügerisch heiteren Melodien unter anderem vom rätselhaften Tod des Biowaffenfachmanns David Kelly, der im Irak als Uno-Inspektor eingesetzt und offenbar von britischen Regierungsstellen unter mörderischen Druck gesetzt wurde. Nutzen Sie die vergnügte Musik quasi als Vehikel für Ihre Botschaften?
Yorke: Sie haben recht, das ist der Trick. Je unbeschwerter die Musik scheint, umso düsterere Texte kann man da hineinschummeln. Aber ich singe von diesen Dingen nicht aus Spaß an der Schwarzmalerei, sondern weil sie mir wirklich Sorgen machen. Wenn Sie sich die Politik der Regierung von Tony Blair ansehen, die längst in die Knie gegangen ist vor den wirtschaftlichen Interessen der großen Konzerne, dann stehen Sie vor einem einzigen großen Desaster.
SPIEGEL: Sie sind ein prominenter Mitkämpfer der Umweltaktivistentruppe Friends of the Earth und waren kürzlich sogar bei Premierminister Blair zum Gespräch eingeladen. Warum haben Sie abgesagt?
Yorke: Ich habe es damit begründet, dass mich seine Politik krank macht. Und natürlich hat er keinen Mucks von sich gegeben. Es ging ihm doch sowieso nur darum, sich mit mir knipsen zu lassen. Blairs Leute haben dieses Treffen mit den Sprechern von Friends of the Earth an die Bedingung geknüpft, dass ich mitkomme. Das ist ein schlechter Witz. Ein klassischer Fall von Erpressung. Aber ich glaube, Blair hat jetzt sowieso andere Sorgen als einen herumzickenden Rockmusiker. Er muss sich darum kümmern, die letzten Reste seines Rufs zu retten, bevor er endgültig abtreten wird.
SPIEGEL: Derzeit gibt es viele Musiker, die sich mit neuer Vehemenz gegen George W. Bush und Tony Blair, für die Armen der Dritten Welt und eine bewusstere Umweltpolitik einsetzen. Etabliert sich da eine neue Pop-Protestkultur?
Yorke: Kann sein. Aber ich würde nicht darauf hoffen, dass sich durch sie viel verändert. Wenn die Popkultur sich einer Sache annimmt, wie wichtig und gut und richtig sie auch sein mag, dann wird daraus immer ganz schnell ein reines Popspektakel. Leider sind aber Umweltdesaster nun mal kein Pop. Sie sind nicht schrill, lustig oder unterhaltsam, sondern ernst, fundamental und sehr, sehr bedrohlich. Da richtet man mit cool designten Protest-T-Shirts und aufwendigen Pop-Benefizspektakeln nicht viel aus.
SPIEGEL: Aber Sie singen doch selbst technologiekritische Songs wie "Atoms for Peace", der eine berühmte Eisenhower-Rede zitiert. Was betreiben Sie anderes als den Versuch der Aufklärung mit Popmitteln?
Yorke: Ich finde nur, dass das Pop-Engagement allein nicht ausreicht. Man muss den Mut haben, das Gelaber und den reinen Zirkus hinter sich zu lassen und die Probleme direkt anzugehen. Friends of the Earth verbringen ihre Zeit damit, so unhippe und langweilige Dinge zu tun, wie lange Briefe an Abgeordnete zu schreiben. Denn wir müssen jetzt direkt mit den Regierungen verhandeln, schon in zehn Jahren dürfte viel Natur für immer zerstört sein. Neulich habe ich einen meiner Freunde dazu gebracht, ebenfalls einen Brief zu schreiben. Der ist völlig ausgeflippt vor Begeisterung, weil der Abgeordnete ihm dann zurückschrieb. Aber hey, dafür werden diese Knaben doch von uns bezahlt! Und tatsächlich haben unsere Briefe geholfen, ein Gesetz für neue Kohlendioxid-Richtwerte zumindest auf den Weg zu bringen.
SPIEGEL: Und Sie selbst haben auch Briefe losgeschickt?
Yorke: O ja, und auch Antworten bekommen. Tony Blairs potentieller Nachfolger Gordon Brown hat einen seiner Männer persönlich bei mir vorbeigeschickt: David Miliband, der inzwischen zum Umweltminister ernannt wurde.
SPIEGEL: Miliband gilt wie David Cameron, der Chef der Tories, als Radiohead-Verehrer.
Yorke: Es sind wohl eher ihre Frauen, die Fans der Band sind. Aber immerhin haben sie neulich beide ihre Männer zu einem unserer Konzerte mitgenommen.
SPIEGEL: Das war jenes Konzert, bei dem ein Fan kürzlich "Thom Yorke for prime minister" rief. Wären Sie eine gute Besetzung für den Job?
Yorke: Ich wäre eine Katastrophe. Ich bin völlig unbegabt darin, Kompromisse zu schließen. Insofern bewundere ich einen Mann wie Bono, der stets die Geduld aufbringt, sich mit den schlimmsten Typen friedlich hinzusetzen - und so auch viel erreicht. Wenn ich mich mit diesen Kerlen träfe, würde ich die meisten von denen am liebsten vermöbeln.
SPIEGEL: In Ihrem Job als Popmusiker haben Sie die Welt bereist, in riesigen Stadien gespielt, Duette mit Björk und PJ Harvey gesungen und auch sonst allerhand ausgereizt. Liegt Ihre Zukunft vielleicht in Hollywood, woher Sie angeblich jede Menge Angebote für Filmmusiken bekommen?
Yorke: Ich verstehe selbst nicht recht, warum wir in den Vereinigten Staaten so begehrt sind. Unser Manager kommt immer mit glänzenden Augen an und berichtet aufgeregt, welche Kino-Soundtracks ihm jetzt wieder für uns angeboten wurden. Aber es wird fast nie etwas draus. Das liegt vermutlich daran, dass wir uns hier in Oxford wohlfühlen und nicht weggehen wollen von hier. Es ist uns genug, die eigenen Songs im Supermarkt oder im Fitnessstudio zu hören, das muss nicht auch noch in Kinofilmen sein. Kürzlich haben wir sogar einen Radiohead-Song bei einer Beerdigung gespielt. Die Mutter unseres Schlagzeugers war gestorben, und sie hatte sich das Lied gewünscht. Es war sehr bewegend.